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Heinrich-Theissing-Institut Schwerin  >  Publikationen  >  Artikel  >  Europ. Bildung in der Residenzstadt Schwerin

Jesuiten, alte Bücher und das Schweriner Vorseminar (1739-1788)

Über die Ausstellung "Europäische Bildung in der Residenzstadt Schwerin"

Die Historische Bibliothek der Schweriner Propsteigemeinde St. Anna enthält knapp 3.000 Bände aus dem 16. - 19. Jahrhundert. Kernbestand ist die alte Jesuitenbibliothek, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts angelegt wurde und etwa 900 historische Bücher  umfasst. Im Jahr 2010 feiert die von den Jesuiten gegründete katholische Schule in Schwerin ihr 275jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass wird die erste Ausstellung zur Historischen Bibliothek St. Anna, die einen Einblicke in das universelle Bildungswirken der Jesuiten im 18. Jahrhundert gibt, erneut der Öffentlichkeit gezeigt.

Jesuiten in Schwerin! Was wollte dieser papsttreue Orden im protestantischen Mecklenburg des 18. Jahrhunderts? Fritz Reuter gebrauchte, wenn es ihm um kräftige Schimpfwörter ging, gern den Ausdruck "Jesuwiter".  Demnach standen die wenigen Jesuiten, die im lutherischen Mecklenburg lebten, in keinem gutem Ansehen. Dieser so erweckte Eindruck ist allerdings falsch. Schon die ersten Patres, die ab 1709 die Katholiken in Schwerin seelsorglich betreuten, waren nicht nur bei Hofe gut gelitten. Auch die 1735 gegründete katholische Schule in Schwerin erfreute sich bald allgemeiner Beliebtheit. 1739 eröffneten die Jesuiten hier ein Vorseminar  für das Nordische Kolleg in Linz. Dadurch wurde Schwerin vorübergehend zum Bildungsort von europäischem Rang.

Das Schweriner Vorseminar der Jesuiten ist einzigartig in der europäischen Bildungsgeschichte. Es wurde als gymnasiale Einrichtung, sozusagen als vorgeschobener Posten des Jesuitenkollegs im österreichischen Linz aufgebaut. Das Linzer Kolleg war 1710 als Studienanstalt für begabte Jungen der katholischen Minderheit aus Schweden, Dänemark und Norwegen eröffnet worden. Die katholischen Christen standen in Skandinavien unter besonders harten Gesetzen, die jede freie Religionsausübung verhinderten und eine moderne Bildung für bekennende Katholiken unmöglich machte.

Allerdings mussten die Jesuiten geeignete Schüler direkt in ihren Heimatländern aussuchen.  Um die dabei im konfessionell gespaltenen Europa fast unausweichlichen Schwierigkeiten zu vermeiden, suchte man nach einem geeigneten Ort, der außerhalb des dänischen und schwedischen Einflussbereichs lag. Dieser Ort musste aber in der Nähe dieser Länder sein, um ein oder zwei Vorbereitungsjahre für die studienbegierigen Jungen mit vertretbarem Aufwand zu rechtfertigen. Diese Rolle fiel ab 1739 dem Schweriner Vorseminar zu.

Die Jesuiten waren bereits im 18. Jahrhundert ein weltweit agierender Schulorden mit nahezu 800 Bildungsstätten, an denen fast 700.000 Schüler und Studenten lernten. Sie scheuten aber auch keine Mühe, um in Schwerin für jährlich etwa 5 bis 15 begabte Kinder der katholischen Minderheit aus Nordeuropa ein intensives Bildungsprogramm aufzubauen. Auch nach der Auflösung des Jesuitenordens im Jahre 1773 bestanden Linzer Kolleg und Schweriner Vorseminar noch über ein Jahrzehnt weiter.

Die Bibliothek der Jesuiten gehört zu den bedeutenden Kulturdenkmälern in Mecklenburg-Vorpommern. Schon in der Zeit ihrer Entstehung fand sich an anderen Bildungsstätten der Residenzstadt Schwerin wenig Vergleichbares. Allgemein stand es damals ziemlich schlecht um die Schulbildung in beiden mecklenburgischen Herzogtümern. Im dritten Band seiner "Kirchengeschichte Mecklenburgs" beschreibt Karl Schmaltz diese Situation mit dem knappen Satz: "Die wenigsten Kinder hatten überhaupt Schulunterricht, die Lehrer hungerten und waren zum größten Teil untauglich."

Auch die Immatrikulationszahlen der Rostocker Universität sanken sein Beginn des 18. Jahrhunderts beträchtlich ab. Mit der herzoglichen Universitätsgründung in Bützow  1760 verlor Rostock als Bildungsstandort vollends an Bedeutung. Die Zahl der Studierenden lag dort jahrzehntelang weit unter Hundert, die der Neuimmatrikulationen zeitweise im einstelligen Bereich. "Der alte Ruhm, die Leuchte des Nordens zu sein, war rettungslos dahin", bemerkt Karl Schmaltz dazu.

In der allgemeinen Krise der Bildungseinrichtungen machte Schwerin keine Ausnahme. "Arg danieder lag noch das Volksschulwesen", schreibt Wilhelm Jesse in seiner Stadtgeschichte. Auch die Gelehrtenschule Schwerins, die Domschule befand sich nach seinen Worten "in einem Stadium unverkennbaren Niedergangs."  Wenige Jahre nachdem Schwerin 1765 seinen Status als Residenzstadt verloren hatte, wurde die alte Bibliothek der Herzöge aus dem 17. Jahrhundert, die 12.000 Bände umfasste, von Schwerin in die neue Universitätsstadt Bützow verlegt.

Unter diesen Gesichtspunkten gewinnt die damals im Aufbau befindliche Bibliothek der Jesuiten eine besondere Bedeutung. Die Ausstellung „Europäische Bildung in der Residenzstadt Schwerin“ zeigt bis Oktober des Jahres 27 ausgewählte Bände, die Zeugnis von der Lehrtätigkeit der Jesuiten in Schwerin geben Die ausgestellten Bücher belegen den weitgesteckten Horizont der vermittelten Bildung.  In einigen Bänden finden sich noch die Spuren intensiver Lerntätigkeit. So sind Unterstreichungen im Text keine Seltenheit.

Der Buchbestand umfasst geistliche Literatur und geschichtliche Werke ebenso wie die lateinischen Klassiker und die zu ihrer Zeit modernsten Publikationen der aufstrebenden Naturwissenschaften. Ein sehr wertvolles Stück ist u.a. ist die Wendenchronik von Albert Krantz aus dem Jahre 1519. Deren Gebrauch im Unterricht weist aus, dass die Jesuiten den Schülern durchaus  auch die Geschichte ihrer Heimat  vermitteln wollten. Ein viersprachiger Reiseführer durch das antike und das mittelalterliche Rom mit 165 ganzseitigen Kupferstichen (erste Hälfte 17. Jh.), die reich illustrierte Geschichte Amerikas aus dem Jahre 1634, sowie die deutsche Ãœbersetzung des "Piazza Universale", einer Darstellung aller Berufe aus dem 16. Jahrhundert, vermitteln einen Eindruck von der Vielschichtigkeit des jesuitischen Bildungsangebotes.

Die Ausstellung zeigt auch Unikate, wie u.a. eine vermutlich von den Schülern selbst zusammengestellte und geklebte Bilderbibel. Natürlich sind die Werke mit geistlichem Inhalt dominierend, da es den Jesuiten immer darum ging, wie jeder Mensch seinen je persönlichen Weg zur Vollendung in Gott finden könne. Voraussetzung für alle Studien war aber das perfekte Beherrschen des Lateins. Die vielen Kritzeleien im ausgestellten Band aus dem Jahre 1767 deuten darauf hin, wie sehr die hier übliche Büffelei die Schüler schon damals genervt haben muss.

Eine Besonderheit der jesuitischen Erziehung lag in ihrem ganzheitlichen Ansatz, der zum Beispiel auch die spielerische Wiedergabe des gelernten Stoffes in selbstgeschriebenen Theaterstücken umfasste. Derartige schulische Theateraufführungen sind auch für Schwerin nachgewiesen. Hinweise auf diese Tätigkeit gibt ein in deutscher Sprache geschriebenes poetisches Handbuch.
Einige der ausgestellten Werken dienten unmittelbar der Tugendbildung und der Stärkung christlicher Persönlichkeiten. Dabei muss erwähnt werden, dass die Jesuiten Schüler aus allen sozialen Schichten in ihre Bildungseinrichtungen - so auch in Schwerin - aufnahmen. Entscheidend waren allein Begabung und sittliche Eignung. Alle Kosten, auch die der Unterbringung im Seminar, trug der Orden, der hierfür Spenden von höchsten Stellen einwarb. Kein Schüler oder Student musste sich zur kirchlichen Laufbahn verpflichten; jedem war es freigestellt, sich für einen selbstgewählten Berufsweg zu entscheiden. Die Orientierung auf eine für damalige Zeit sehr moderne naturwissenschaftliche, mathematische und geographische Bildung zeigen entsprechende, oft prachtvoll illustrierte Bände.

Die Ausstellung "Europäische Bildung in der Residenzstadt Schwerin" ist auch für Kinder und Jugendliche attraktiv, vor allem, weil man mittels vorhandener Computertechnik in einigen der uralten Büchern blättern und lesen kann. Gerade Schulklassen können hier einen anschaulichen Einblick in die europäische Geschichte gewinnen. Generell ist die Ausstellung nach der Wiedereröffnung am 8. Oktober 2010 jeden Donnerstag von 15 bis 18 Uhr (außer an Feiertagen) geöffnet. Gern können Führungen außerhalb der Öffnungszeiten mit den Mitarbeitern des Heinrich-Theissing-Institutes vereinbart werden.

Anfragen zu Ausstellungsführungen an:

Heinrich-Theissing-Institut Schwerin
Lankower Str. 14-16, 19057 Schwerin,

Tel. 03 85 / 4 89 70 37 bzw. 03 85 / 5 55 80 45
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