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300 Jahre St. Anna Schwerin - was Dokumente berichten

(2) Der Kaufvertrag zum Anwesen der Familie von Bibow (1734)

Dieses Dokument nimmt unter den im Pfarrarchiv von St. Anna befindlichen Archivalien eine Schlüsselstellung ein. Es belegt den erstmaligen Erwerb von Grund und Boden für eine katholische Missionspfarrei in Mecklenburg nach der Reformation. Nach fast 50 Jahren wurde damit Wirklichkeit, was schon 1685 der Apostolische Vikar Niels Stensen vom damaligen Herzog Christian I. Louis vergeblich erbeten hatte. Endlich konnten die Katholiken in Schwerin ein Grundstück mit Kapelle und weiteren Gebäuden für die kleine Gemeinde ihr Eigen nennen.


Abb1: Letzte Seite aus dem Kaufvertrag von 1734 zum Bibowschen Anwesen

Der Bibowsche Hof lag an der damaligen Schweriner Burgstraße und reichte hinunter bis an den Burgsee. Hier hatte man bereits vor mehreren Jahrzehnten unter herzoglicher Duldung eine kleine Kapelle eingerichtet, und zwar auf dem Heuboden eines Pferdestalles. Dort, wo heute die katholische Propsteikirche St. Anna steht, befand sich damals das Wohnhaus der Familie von Bibow. Gabrielle und Bernhard von Bibow bekleideten lange Zeit hohe Ämter am Schweriner Herzogshof. Als sie Mitte der 1720er Jahre kurz hintereinander starben, hinterließen sie ein hochverschuldetes Anwesen. 

Für die kleine katholische Gemeinde war damit eine ungewisse Zukunft angebrochen. Niemand wusste, wann und an wen die Gläubiger das Grundstück verkaufen würden. Der erste Schweriner Pfarrer, Gerard Dumont, musste von den geringen Einkünften der Gemeinde jetzt 70 Taler Miete zahlen. In dieser Situation übernahm 1732 der junge Jesuitenpater Karl von Stöcken die Missionspfarrei in Schwerin. Er war eigentlich auf dem Weg nach Schweden, wo er im Auftrag seines Ordens eine höhere Schule für begabte katholische Jungen gründen sollte. Als bei seinem Aufenthalt in Schwerin der hiesige Pfarrer schwer erkrankte und bald darauf starb, wurde ihm die Seelsorge in Mecklenburg übertragen.

Schon die ersten Briefe, die Karl von Stöcken an Herzog Carl Leopold schrieb, zeugen von hoher geistiger Gewandtheit. Carl Leopold war damals bereits vom Kaiser als Herzog abgesetzt. Die Regierungsgeschäfte im Lande führte sein jüngerer Bruder Christian Ludwig II. als kaiserlicher Kommissar. Zum wiederholten Male äußerte Carl Leopold 1732 die Absicht, zum katholischen Glauben überzutreten. Er dachte, auf diese Weise Land und herzogliche Rechte zurück zu erhalten. Doch alle Vermittlungsversuche aus Rom und Wien scheiterten an den maßlosen Forderungen Carl Leopolds. Pater Karl von Stöcken war vom Hildesheimer Weihbischof von Twickel beauftragt worden, dem Herzog die Bedingungen für eine Wiedereinsetzung ins Amt mitzuteilen. Der Brief, der leider ohne Erfolg blieb, ist eine diplomatische Meisterleistung. 

Abb.2 Carl Leopold, Herzog von Mecklenburg-Schwerin 1713-1747, vom Kaiser suspendiert 1728

Da wundert es kaum, dass dem jungen Jesuitenpater bald gelingen sollte, was keiner seiner Vorgänger erreichte. Unklar bleibt bis heute, warum er in Schwerin nicht unter seinem Namen, sondern als Carl Burchardins auftrat. Alle Einträge im zweiten Kirchenbuch der Gemeinde, das er anlegte, unterzeichnete er mit diesem Pseudonym. Und als Carl Burchardins unterzeichnete er auch den notariellen Kaufvertrag, mit dem er den Bibowschen Hof für die Schweriner Gemeinde erwarb. 

Dieser Kaufvertrag ist mit verschiedenen anderen Urkunden, die alle zum Verkauf des Bibowschen Hofes gehören, zusammengeheftet. Gleich das äußere Doppelblatt  ist ein Schreiben aus der herzoglichen Kanzlei, das die nachfolgende notarielle Kaufurkunde bestätigt. Bestätigt wird auch die ordnungsgemäße Abfindung der Bibowschen Gläubiger aus dem geflossenen Verkaufserlös.

Wer allerdings erwartet hat, dass damit der Bestand der Missionspfarrei in Schwerin auf Dauer gesichert war, wird bei genauerer Prüfung bald enttäuscht sein. So beurkundete Herzog Carl Leopold lediglich den ordnungsgemäßen Verkauf des Bibowschen Grundstückes an die Witwe Dorothea von Baroldt zu Schönberg, die aus dem mecklenburgischen Adelsgeschlecht von Fineck stammte. Pater Burchardins alias Karl von Stöcken unterzeichnete nur als Bevollmächtigter der eigentlichen Käuferin.

Im Vertrag wird bezeugt, dass die Witwe von Baroldt insgesamt 1.800 Reichstaler „in neuen Lüneburgischen und Brandenburgischen 2/3tel Stücken“ durch ihren Bevollmächtigten zahlen ließ.  An den Verkaufsverhandlungen nahm Dorothea von Baroldt selbst nicht teil, sondern ließ sich von ihrem Bevollmächtigten vertreten. Nach damaliger Gesetzeslage in Mecklenburg kann als sicher gelten, dass der lutherische Herzog als Oberbischof seiner Landeskirche niemals einen Verkaufsvertrag urkundlich „confirmiert“ hätte, bei dem die geduldete katholische Gemeinde oder gar ein Jesuit als Käufer aufgetreten wären.

Abb. 3 Herzogliche „Confirmation“ des Kaufvertrages für das Bibowsche Anwesen

Aufklärung über die tatsächlichen Absichten, die mit diesem Kauf verfolgt wurden, gibt ein Brief der Frau von Baroldt, den diese am 8. Mai 1734 an Carl Burchardins SJ sandte. Der Pater hatte ihr kurz zuvor mitgeteilt, dass er das besagte Grundstück für die Gemeinde erwerben wolle. Frau von Baroldt schrieb: „Weil nun Euer HochEhrwürden so ernstlich Von mir begehren und theure Versicherung geben, ohne den geringsten meinen Schaden und Nachteil den Kauff Contract – wegen gewisser ursach – in meinem Namen volziehen zu lassen [...] so finde ich keine Ursach mich dieses zu weigern [...]“. Soweit auf der ersten Briefseite die entscheidende Nachricht für den Schweriner Pfarrer.

Die zweite Seite des Briefes war dann als öffentlich vorzeigbare Vollmacht gedacht. Frau von Baroldt schilderte darin, dass sie bei ihrem „herannahenden Alter“ wohl gesonnen sei, sich „ in Ruhe und in die Stadt zu begeben“. So wäre sie „nicht abgeneigt, dass Biboische Hauß mir an zu kauffen“. Sie ersuchte deswegen Pater Burchardins, „an meiner stad  [...] den Kauff-Contract zu schließen und zu vollziehen“ und gab ihm „dazu [...]  Volkommene Volmacht.“

Das Bibowschen Grundstückes wurde dann tatsächlich mit Geldern der Gemeinde gekauft. Diese kamen in der Hauptsache durch Spenden aus der norddeutschen Diaspora zusammen. So erwähnte Pater Burchardins in seinem Jahresbericht von 1733 den gerade verstorbenen Kaufmann Frezier, der auf seinem Sterbebett 100 Taler für die katholische Kapelle verfügte. Die ebenfalls in diesem Jahr verstorbene Frau Poitschan zu Hamburg vermachte der Gemeinde in ihrem Testament gar 250 Taler. Burchardins schrieb auch schon, wofür diese Gelder verwendet werden sollten, nämlich mit „Zustimmung der Oberen zum Kauf eines Hauses im nächsten Jahr“, das als „würdigere Heimstatt für die Arche des Herrn“ dienen sollte. 

Im nächsten Jahresbericht meldete der Schweriner Pfarrer dann seinem Provinzial in Köln den Vollzug des Kaufes „auf den Namen einer adligen Dame“. Die Schweriner Mission hätte auf diese Weise„eine eigene Niederlassung“ erhalten, „wo der Ort zur Feier Gottes entsprechend eingerichtet wurde“. Von den für das Bibowsche Anwesen geforderten 1800 Talern wären 600 sofort bezahlt worden, die restlichen 1200 aus einem dafür aufgenommenen Kredit, der jetzt mit 60 Talern pro Jahr zu verzinsen sei. Diese 60 Taler würden aber die Mission nicht belasten, da sie aus Mieteinnahmen für das ehemalige Wohnhaus der Bibows erwirtschaftet würden. 

Auch wenn damit alle finanziellen Hürden aus dem Weg geräumt waren, konnten  jetzt weder die Gemeinde noch die Gesellschaft Jesu das verkaufte Grundstück als ihr Eigentum bezeichnen. Der Hinweis Burchardins auf eine „eigene Niederlassung“ ist damit in Frage zu stellen. Es war in dieser Hinsicht nur die gleiche Lage wiederhergestellt, die schon in den Jahren von 1692 bis zum Tode der Oberhofmeisterin Bibow 1725 bestand. Die mit herzoglicher Gnade geduldete katholische Gemeinde konnte ihre Religionsausübung auf einem Grundstück vollziehen, das jetzt einem anderen Gemeindeglied gehörte. Lediglich der Name von Bibow war durch den Namen von Baroldt ersetzt. Von einer Schenkung oder Abtretung des Anwesens an die Missionspfarrei ist in dem vorliegenden Dokument an keiner Stelle die Rede.

Auch die folgenden Jahresberichte der Schweriner Jesuiten geben darüber keine Auskunft. Pater Burchardins setzte offensichtlich voraus, dass hier in Zukunft eine Lösung zu erreichen sei, in der letztendlich die Gemeinde zum Eigentümer würde. Für ihn war wichtig, seinen Oberen mitteilen zu können, dass die finanzielle Situation durch die Entschuldung des Bibowschen Anwesens entscheidend verbessert worden war. Denn nur auf dieser Basis konnten die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten an den Gebäuden erfolgen. 

Gleich nach Abschluss des Kaufvertrages begann man damit, die Kapelle zu erneuern, die sich in der oberen Etage des baufälligen Pferdestalles befand. Bereits zu Weihnachten 1734 feierten die mecklenburgischen Katholiken ihren ersten Gottesdienst in der erneuerten Schweriner Kapelle, in der jetzt 400 Gläubige – statt vorher 200 – Platz fanden. „Dazu ist sehr viel außen geschehen, innen aber musste fast alles wie Boden, Decke, Altar, Bänke neu gemacht werden“, – schrieb Pater Burchardins in seinem Jahresbericht. Zusammen mit einer notdürftigen Reparatur des Daches hatte dieses erste große Bauvorhaben der Schweriner Pfarrei „450 Reichstaler und mehr gekostet“. Die gesamte Summe wurde durch Spenden aus der Gemeinde und auch „aus sehr fernen Gegenden“ aufgebracht. 

Im darauffolgenden Jahr wurde die Kapelle dann „mit einem neuen Dach völlig gesichert, ohne dass es doch äusserlich auffiele“. Das Innere verschönerte man mit Bildern und einer Ausmalung des Chores. Bereits 1735 wurde auf dem ehemals Bibowschen Hof eine katholische Schule eröffnet. Alles das geschah offenbar in der Annahme, dass diese Investitionen auch in Zukunft der Gemeinde zugute kommen würden.. Als Weihnachten 1736 Herzog Christian Ludwig II. mit seiner Familie und dem Hofadel über zwei Stunden der Christmette in die katholische Kapelle beiwohnte, wertete man dieses als Zeichen öffentlicher Anerkennung für die Missionspfarrei.

Abb. 4 Christian Ludwig II., Herzog von Mecklenburg-Schwerin 1747 – 1756 Kaiserlicher Kommissar 1728-1747

Am 4. März 1741 – wenige Tage vor ihrem Tod -  Ã¼bertrug Dorothea von Baroldt das „vorhero so genante Biboische Haus […]“ an den aus Pommern stammenden Reichsgrafen Erasmus Ernst von Küssow. Sie bestätigte, dass sie „von denselben als Kaufnehmer der bezahlung halber also befriedigt seye“ und dass der Graf „in den Besitz dieses, von ihm und mir zu beständig nutzen und gebrauch der Mission gewidmeten Haußes köne und sole gelassen werden.“ 

Damit war die Missionspfarrei weiterhin lediglich Nutzer des Anwesens an der damaligen Schweriner Burgstraße. Noch 1778 kam aus der Schweriner Stadtverwaltung die Aufforderung an die katholischen Geistlichen in Schwerin, schriftlich mitzuteilen, „in welchem Jahr? Und von wem? Der H. Pater Stöcken den Hof angekauft habe.“ Der damalige Pfarrer Frings schrieb dazu die lapidare Notiz: „1734 Von weyland der Hoch und wohlgebohrenen frau v. Barold gebohrene v. Fineck mit allergnädigstem Consens angekauft und dem Herrn P. v. Stöcken überlassen worden.“  

Als es zehn Jahre später um den Bau von St. Anna ging, zweifelte wohl niemand mehr an den Eigentumsrechten der katholischen Gemeinde. Der scheinbar aus dünnem Eis bestehende Kaufvertrag, den Pater Burchardins alias von Stöcken 1734 als Bevollmächtigter der Frau von Baroldt unterzeichnete, war im Laufe der Zeit zu einem festen Fundament geworden, auf dem man für die nächsten Jahrhunderte bauen konnte.