Datenschutzerklärung  I  Impressum  I  Inhalt  I  Suche
Heinrich-Theissing-Institut Schwerin  >  Publikationen  >  Artikel  >  Was Dokumente berichten  >  300 Jahre St. Anna Schwerin (4)

300 Jahre St. Anna Schwerin - was Dokumente berichten

(4) Erste Gleichstellung der Religionen in Mecklenburg

Abb. 1 Entwurf des Gesuches um Religionsfreiheit von 1809
Abb. 2 Urkunde über die Erteilung des Privilegium pii corporis
Abb. 3 Alte katholische Schule in Schwerin, erbaut 1839.

Unter der Regierung des toleranten Herzogs Friedrich Franz I. wurde nicht nur St. Anna zu Schwerin als erste katholischer Kirchbau im lutherischen Mecklenburg errichtet. Der Herzog ließ auch den Katholiken in der neuen Residenz Ludwigslust eine neue Kirche bauen. So feiert die Ludwigsluster Gemeinde in diesem Jahr ebenfalls ein großes Jubiläum. Vor genau zweihundert Jahren wurde ihre Kirche St. Helena/St. Andreas geweiht. Doch noch bevor in Ludwigslust eine eigenständige katholische Missionspfarrei entstand, brachten die großen politischen Umbrüche der damaligen Zeit unerwartete Freiheiten für die in der norddeutschen Diaspora lebenden Katholiken.

Nach Auflösung des Deutschen Reiches hatte sich 1806 unter Napoleons Protektorat der Rheinbund gebildet. Diesem Bund traten 1808 auch die beiden mecklenburgischen Herzogtümer bei. Der Vertrag zum Rheinbund enthielt keine staatskirchenrechtlichen Bestimmungen. Es gab allerdings eine „Accessions-Akte“, in der sich die beitretenden Länder zu bestimmten Regelungen verpflichteten. In der Accessions-Akte  des Schweriner Herzogs wurde am 22. März 1808 die „völlige rechtliche Gleichstellung der katholischen mit der lutherischen Religionsübung und die völlige Gleichstellung der Unthertanen beider Confessionen hinsichtlich der bürgerlichen und politischen Rechte“ festgeschrieben.

Die Umsetzung dieser Bestimmung in Landesrecht war zwar verpflichtend, wurde aber nicht von allen Beitrittsstaaten durchgeführt. Um der mecklenburgischen Regierung hier ein wenig nachzuhelfen, schrieb der Schweriner Pfarrer Laurentius Papenheim zusammen mit dem zweiten Geistlichen der Gemeinde, Pastor Georgius Schulze, ein Gesuch an den Herzog. Darin baten die beiden Priester um die Gewährung von Rechten, die uns heute selbstverständlich erscheinen, aber in der kirchlichen Landschaft des damaligen Mecklenburgs einer Revolution gleich kamen. Der im Pfarrarchiv von St. Anna aufgefundene Entwurf des Briefes stammt vom 13. März 1809. Schon der erste Punkt zeigt, wie sehr die Katholiken bis dahin in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt waren:


1. Das Aufgebot katholischer Brautleute solle künftig nur noch in der katholischen Kirche erfolgen müssen. Gebühren, die dafür bisher an lutherische Prediger zu zahlen waren, müssten entfallen.Die nächsten Punkte widmen sich dann den Bestimmungen über Mischehen.

Bis dahin war es Kirchen- und Landesgesetz, dass gemischte Brautleute von lutherischen Geistlichen getraut werden mußten. Von den Kindern, die aus solcher Ehe hervorgingen, waren die Söhne nach der Religion des Vaters, die Töchter nach der Religion der Mutter zu erziehen. Dass in solchen Familien allein schon um des lieben Frieden willens die Erziehung bald nur noch nach der Mehrheitsreligion lief, liegt auf der Hand. Schon Niels Stensen beklagte in seinen Briefen, die er aus Schwerin nach Rom schrieb, dass durch diese Regelungen die Weitergabe katholischen Glaubens an die nächsten Generationen unmöglich gemacht wäre. Unter Bezug auf die Rheinbund-Akte forderten die Schweriner Geistlichen jetzt:

2. Bei gemischten Ehen müsse es den Brautleuten freigestellt sein, von welchem Geistlichen sie sich trauen lassen wollten. Gebühren dürften nur noch an den Geistlichen gezahlt werden, der die Trauung tatsächlich vorgenommen habe.

3. Ebenfalls solle es in gemischten Ehen der freien Vereinbarung der Eltern überlassen werden, „nach welcher der beiden Religionen sie ihre Kinder taufen, unterrichten und confirmieren lassen wollten.“

Auch die öffentliche Beerdigung nach katholischem Ritus war Katholiken bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts verwehrt. So beantragten die Schweriner Geistlichen im nächsten Punkt:

4. Die „Leichenbegängnisse der Katholiken“ sollten öffentlich und nach den Gebräuchen der Kirche vonstatten gehen, in Schwerin „auf einem dieser Gemeinde verstatteten, privativen Kirchhofe, sonst auf jedem Kirchhofe einer Stadt- oder Landgemeinde“. Gebühren, die dafür bisher an die lutherischen Kirchen zu zahlen waren, müssten entfallen.


Der fünfte Punkt dann ging auf bittere Erfahrungen zurück. In den zurückliegenden Jahrzehnten mussten die Schweriner Geistlichen sich so manches Mal  vor Gerichten rechtfertigen, wenn sie Leute mit Konversionsabsichten zum katholischen Bekenntnis geführt hatten. Jetzt wollte man einfach nur gegenseitige Toleranz und Gewissensfreiheit:

5. Jedem solle „der Übertritt zu der katholischen Kirche unverwehrt“ sein, „wie jedem Katholiken der Übergang zu der lutherischen Lehre frei stehe“.
Die weite Forderungen der Geistlichen waren dann auf Existenzsicherung und Mitsprache-Rechte bei sozialen Einrichtungen der damaligen Zeit ausgerichtet:

6. Der katholischen Gemeinde müsse die gleichen steuerlichen Privilegien erhalten, wie sie der lutherischen Landeskirche zuerkannt waren. (privilegium pii corporis).

7. Einer der katholischen Geistlichen in Schwerin solle „Sitz und Stimme im dortigen Armen-Collegio“ erhalten.
Zwei weitere Punkte sind später eingefügt worden - offenbar nach Rücksprache mit den Gemeindevorstehern. Diese wurden im Antwortschreiben des Herzogs auch besonders berücksichtigt:

8. Adlige katholische Familien sollten ihre Töchter unter gleichen Rechten und mit gleicher Versorgung in die drei Landesklöster einschreiben lassen können.

9. Die katholische Religion möge „nicht weiter als ein Hinderniß gegen Anstellung im Dienste des Fürsten und Vaterlandes angesehen werden [...].“

Bereits einen Monat später kam die Antwort des Herzogs. Darin wurden die ersten fünf Punkte des Gesuches positiv beschieden. Auch die Erhebung der katholischen Gemeinde zu einer steuerlich privilegierten „frommen Körperschaft“ wurde zugesagt. Die beantragte Aufnahme eines katholischen Geistlichen in das Armen-Kollegium der Stadt Schwerin sollte später entschieden werden. Abgelehnt wurde nur die Bitte um Aufnahme der Töchter katholischer Adliger in die Landesklöster, weil diese „blos protestantische Institute“ seien. Den letzten Punkt der katholischen Petition beantwortete der Herzog mit dem lapidaren Satz:  „[...] so werden Wir bei der Auswahl Unserer Bedienter nach wie vor auf die Qualification der Subjecte Rücksicht zu nehmen wissen.“

Als 1810 Georgius Schulze katholischer Pfarrer in Ludwigslust wurde, nahm er wohl an, dass die Antwort des Herzogs nur für die Schweriner Gemeinde gelten würde und stellte einen ähnlichen Antrag für die Ludwigsluster Katholiken. Doch der Herzog ließ ihm als Antwort eine Abschrift des Schreibens vom 13. April 1809 zukommen. Damit war klar, dass die gewährten ersten Anfänge von Religionsfreiheit für alle Katholiken im ganzen Lande gelten sollten.

Um ganz sicher zu gehen, dass von Seiten der Landeskirche diese neuen Rechte der Katholiken auch anerkannt würden, baten die katholischen Geistlichen den Herzog um den Erlass konkreter Ausführungsverordnungen. Daraufhin erging am 25. Januar 1811 eine Circular-Verordnung an die Superintendenten der lutherischen Landeskirche, in der die positiv beschiedenen ersten fünf Punkte aus dem Gesuch der Katholiken von 1809 als rechtliche Normen festgeschrieben wurden. Das beantragte Privilegium pii corporis hatte der der Herzog dem katholischen Kirchen-Aerar bereits am 6. Mai 1809 erteilt.

Als der Rheinbund 1813 aufgelöst wurde, blieben die neuen Bestimmungen erhalten und wurden mit dem Beitritt Mecklenburgs zum Deutschen Bund 1815 sogar gefestigt. So räumte die Deutsche Bundesakte  in Artikel 16 den Anhängern der drei christlichen Hauptkonfessionen (lutherisch, katholisch, reformiert) die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte ein. Inzwischen war Mecklenburg-Schwerin zum Großherzogtum erhoben worden. Der tolerante Großherzog Friedrich Franz I. blieb bis zu seinem Tode den beiden katholischen Gemeinden im Lande wohl gesonnen. Doch die zuerkannte Religionsfreiheit war jederzeit gefährdet, wenn die landesherrliche Duldung nicht mehr gewährt sein würde.

Auch in der nur kurzen Regierungszeit von Großherzog Paul Friedrich(1837-1842) konnten die Katholiken in Mecklenburg-Schwerin von der erworbenen Religionsfreiheit noch Gebrauch machen. In dieser Zeit konnte 1839 gleich hinter der St. Annenkirche die alte katholische Schule gebaut werden. Nach dem Regierungsantritt des Großherzogs Friedrich Franz II. (1842-1883) wurden die Rechte der Minderheitskonfessionen im Lande wieder beschnitten. Zwar brachte die Märzrevolution von 1849 noch die Verkündigung einer neuen Verfassung, nach der „keine Religionsgesellschaft […] vor anderen Vorrechte“ haben sollte. Aber gleich im nächsten Jahr wurde diese Verfassung aufgehoben und der alte Landesgrundgesetzliche Erbvergleich wieder in Kraft gesetzt.

Jetzt galt zwar noch die Deutsche Bundesakte von 1815. Doch es blieb strittig, ob mit der Bestimmung über die Gleichstellung der Bekenntnisse auch die Gleichstellung der Religionsgesellschaften als solche festgelegt sei. Ein Bundesbeschluss vom 9. Januar 1853 stellte fest, dass nur die Individualrechte bundesrechtlich garantiert seien. Bestimmungen über die Rechtsstellung der Religionsgesellschaften lagen damit im Ermessen der Einzelstaaten.

Die Regierung in Mecklenburg hielt weiter daran fest, dass nur die lutherische Landeskirche als Staatskirche volle Religionsfreiheit genießen könne. Besonderes Aufsehen erregte damals der Fall des Freiherrn von der Kettenburg, der 1852 katholisch geworden war. Sein Hauskaplan Dr. Holzammer wurde mit Polizeigewalt außer Landes gebracht, weil er in der Privatkapelle des Freiherrn in Schloss Matgendorf  katholischen Gottesdienst gehalten hatte. Auch Matgendorf gehörte damals noch zum Seelsorgsgebiet von St. Anna zu Schwerin.