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Heinrich-Theissing-Institut Schwerin  >  Publikationen  >  Artikel  >  Was Dokumente berichten  >  Artikelserie zum Gedenken an Dr.Bernhard Schräder (8)

3. Weihbischof in Mecklenburg

Schon 1953 befragte der Apostolische Nuntius in Deutschland leitende Geistliche in Mecklenburg, ob der Schweriner Pfarrer und Bischöfliche Kommissar Dr. Bernhard Schräder für das Bischofsamt geeignet wäre. Doch erst am 22. Juli 1959 ernannte Papst Johannes XXIII. Schräder zum Titularbischof von Scyrus und Weihbischof des Bischofs von Osnabrück. Die Veröffentlichung der Ernennung erfolgte am 3. August 1959. Schräder wollte sich von seinem Bischof Helmut Herrmann Wittler aus Osnabrück weihen lassen. Allerdings erhielt dieser keine Einreisegenehmigung nach Mecklenburg, so dass die Bischofsweihe am 8. September 1959 in der Ost-Berliner Corpus-Christi-Kirche stattfand.

Wie beliebt Schräder war, zeigt die Tatsache, dass über 1.500 Katholiken aus Mecklenburg zur Bischofsweihe nach Berlin kamen. Seine Wahlspruch war „Servus fidelis“ – getreuer Knecht. In sein Bischofswappen nahm er das Flügelrad der Deutschen Reichsbahn auf. Er selbst bezeichnete dieses als „eine Reverenz vor meinem Vater, der als treuer Diener und gewissenhafter Beamter 49 ½ Jahre der Eisenbahn gedient hat.“

 

Nach der Bischofsweihe in Ost-Berlin 1959
Bild Nach der Bischofsweihe in Ost-Berlin 1959

Nach der Bischofsweihe schrieb er an einen Freund: „Die Entwicklung der Verhältnisse brachte es mit sich, daß in Schwerin sozusagen aus dem Nichts eine eigene kleine Kurie geschaffen werden mußte. Denn die politische Linie der Regierung erzwang und erzwingt immer mehr eine fast vollständige Selbständigkeit der in der DDR gelegenen Diözesanteile. Die entsprechenden Vollmachten habe ich als Generalvikar und Bischöflicher Kommissar schon seit etlichen Jahren.“. Was der neue Weihbischof aber nicht hatte, war eine Wohnung in Schwerin. Denn aus dem Pfarrhaus musste er jetzt ausziehen; und ein Bischofshaus gab es noch nicht. Schließlich hatte seit der Reformation – außer dem seligen Niels Stensen 1685/86 – kein katholischer Bischof mehr in Schwerin gewohnt.


Mehrere Jahre lebte Weihbischof Dr. Schräder unter primitivsten Verhältnissen in einem einzigen Raum von nur 14 qm in der Schweriner Klosterstraße. Er habe „weniger Platz, als selbst Bischof Kaiser im wildesten Peru in seiner bischöflichen Residenzbaracke“, schrieb das Münsteraner Bistumsblatt über den Weihbischof in Mecklenburg. Darauf hin sandte das Diözesankomitee der Katholiken im Bistum Münster am 12. Mai 1960 eine Eingabe an den „Magistrat der Stadt Schwerin“ und bat darum, sich um bessere Wohnverhältnisse für den Weihbischof einzusetzen. Sogar eine Spendenaktion wurde angeboten. Aber auch mit eigenen Bitten an den Schweriner Oberbürgermeister stieß Schräder lange Zeit auf taube Ohren. Am 20. Februar 1963 schrieb er an seine Schwester Maria über den schlimmen Winter und dass sein „winziges `einziges´ Büröchen [...] seit mehr als vier Wochen ungeheizt“ wäre. In diesem Jahr erst konnte er in das spätere katholische Bischofshaus im Schweriner Ortsteil Lankow einziehen.

Im Frühjahr 1961 geriet Weihbischof Dr. Schräder vermutlich in eine Falle der Staatssicherheit. Ein ihm nicht näher bekanntes Gemeindeglied aus Lübz teilte im vertraulichen Gespräch mit, dass er mit Familie in den Westen fliehen wollte. Der Mann bat den Weihbischof, ihm zu helfen, seine Ersparnisse über die Grenze zu retten. Die Flucht misslang, der Bittsteller holte sich sein Geld zurück. Aber die „Staatsorgane“ wussten bereits über den Vorgang ausführlich Bescheid. Die Fluchtwilligen wurden verhaftet und gegen den Weihbischof ein Gerichtsverfahren wegen „Beihilfe zur Republikflucht und Verstoßes gegen das Passgesetz“ eröffnet.

 Am  21. November 1961 verurteilte das Bezirksgericht Schwerin den Weihbischof Dr. Bernhard Schräder zu einer Geldstrafe von 5.000,- DM. „Meinen Kommentar dazu kann ich diesem Buche nicht anvertrauen“, schrieb Schräder am gleichen Tag in sein Tagebuch. Dort hielt er auch fest, was von den Pressemitteilungen und öffentlichen Äußerungen über ihn zu halten sei, nach denen er jetzt der DDR gegenüber sehr loyal wäre und allen Gläubigen empfehle, zur Wahl zu gehen. Schräders Vermerk dazu: „Das ist in allen Punkten erfunden [...] Es ist empörend […] dass man derartige Berichte ohne mein Wissen und gegen meinen Willen […] gebracht hat.“
 
Dieses neue Tagebuch führte Schräder in den ersten Jahren seiner Bischofszeit. Es vermittelt den Eindruck rastloser Tätigkeit. Konferenzen in Berlin, Besprechungen wegen Grundstücks- und Kirchenbaufragen, Vorträge, Gottesdienste, Visitationen, Besuche bei erkrankten Geistlichen sind in dichter Folge verzeichnet. Als Weihbischof lag Schräder vor allem daran, die katholischen Jugendlichen im Glauben zu stärken und ihnen das Sakrament der Firmung zu spenden. Er sah mit großer Besorgnis, wie das SED-Regime auf alle Erziehungsbereiche zugriff. Gerade in Glaubensfragen wurde das elementare Recht christlicher Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder vom atheistischen Staat mit Füßen getreten. Inzwischen waren unter dem Druck staatlicher Propaganda die Teilnahmezahlen an der Jugendweihe über 90 Prozent angestiegen. Nur die Teilnahme katholischer Jugendlicher fiel - dank kirchlicher Gegenwehr  - deutlich geringer aus.

Auf dem Weg zur Glockenweihe in Kraak 1960
Bild: Auf dem Weg zur Glockenweihe in Kraak 1960

Weihbischof Dr. Schräder unternahm immer wieder Firmreisen in alle Gegenden Mecklenburgs. Dort erfuhr er die Armut seiner Kirche am eigenen Leibe. So ist in den Aufzeichnungen vom 29. April 1961 zu lesen: „Ich übernachtete in Waren. Dort brach früh um ½ 5 Uhr das Bett einseitig ein. Ich trug eine beträchtliche Schramme am rechten Ellenbogen davon [...]“. In Röbel ereignete sich am Tag daraufder nächste Zwischenfall: „Während des Tantum ergo brach mit lautem Krachen [...] die unterste Altarstufe ab [...] an der linken Kniescheibe nicht unerheblicher Bluterguß.“

Doch der neue Weihbischof sah nicht nur die oft bedrückende Situation der ihm anvertrauten Gläubigen in Mecklenburg. Als Konzilsvater durfte er auch Weltkirche erfahren. So nahm er an allen Sessionen des II. Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 in Rom teil. Über die erste Sitzungsperiode führte er sehr anschaulich Tagebuch. Eigene Diskussionsbeiträge aus der Konzilsaula sind nicht überliefert. Schräder sah seine Aufgabe vielmehr darin, die Katholiken in der Diaspora über die Weltkirche zu informieren. So berichtete er nach seiner jeweiligen Rückkehr aus Italien in den Gemeinden Mecklenburgs über das Konzil und dessen Fortschritte. Darüber schrieb er 1963 an seine Schwester Maria: „Ich muß natürlich an vielen Orten über das Konzil predigen [...] Erstaunlich ist, wie zahlreich die Leute trotz der durch die Witterung bedingten Schwierigkeiten kommen. Die Eindrücke, die das Konzil hinterlassen hat, dauern ungeschwächt an.“ Auch von seinem Quartier in Rom unterhielt der Weihbischof einen regen Briefwechsel mit vielen Katholiken in ganz Mecklenburg.

Firmung in St. Anna 1960
Bild Firmung in St. Anna 1960

1963 erkrankte Schräder plötzlich an Darmverschluss und wurde sofort im Bezirkskrankenhaus Schwerin operiert. Weitere Operationen an inneren Organen folgten 1965 im Hedwigskrankenhaus in Berlin. „Man hat den Eindruck, dass es dem Patienten an Mut und Willen fehlt,“ berichtete nach einem Besuch besorgt der geistliche Rat Josef Niederwestberg aus Schwerin.  Schräder selbst sprach davon, dass er wohl „gegen seinen Willen“ gesund werden würde.  Im Januar 1970 noch schrieb er an seinen Bruder Paul: „ [...] ich habe ja keine eigentliche Krankheit, aber die Jahre machen sich bemerkbar.“ Zeichen für Verfall und Schwäche kündigten sich an. Für einen knapp Siebzigjährigen kamen sie viel zu früh. Standen auch andere als organische Ursachen dahinter?

Als 1961 Kardinal Döpfner, der damalige Vorsitzende der Berliner Ordinarienkonferenz,  von Berlin nach München gerufen wurde, schrieb der gerade von Strafverfolgung bedrohte Schweriner Weihbischof an seinen Bruder Paul: „Die Niedergeschlagenheit über den Weggang des Kardinals ist hier ungewöhnlich groß [...] Einen kongenialen Nachfolger gibt es nicht. Kardinal Döpfner ist ein säkularer Mensch, die Vorsehung muß schon ganz besonders wirksam werden, wenn die jetzt anstehenden Aufgaben und Gefahren für die Kirche in Berlin und der ganzen DDR bewältigt werden sollen.“

Nachfolger von Kardinal Döpfner auf dem Berliner Bischofssitz wurde nach dem Mauerbau der noch junge Weihbischof Alfred Bengsch. Dieser schrieb 1963 in einem programmatischen Memorandum, dass für das Ãœberleben der Kirche in der nunmehr abgeschotteten DDR  unbedingte politische Enthaltsamkeit geboten sei.

Tatsächlich gab es gerade in dieser Zeit viele Versuche des Staates, die katholische Kirche in der DDR zu unterwandern und zu spalten. Als Vorsitzender der Berliner Ordinarienkonferenz versuchte Kardinal Bengsch, eine einheitliche Linie in theologischen und kirchenpolitischen Fragen vorzugeben. Alle Bischöfe in der DDR sollten dem folgen. Allerdings blieben gerade die älteren Weihbischöfe und Kommissare in Schwerin, Magdeburg und Meinigen bei einer engen Bindung an ihre in der Bundesrepublik residierenden Bischöfe. Auch Schräder sah nicht Kardinal Bengsch, sondern Bischof Helmut Hermann als direkten kirchlichen Vorgesetzten.

Der Berliner Kardinal war davon nicht begeistert. Er schlug dem Vatikan 1967 eine kirchenrechtliche Neuordnung in der DDR vor. Dabei sollte u.a. eine mögliche Einmischung des Staates in das Bischofswahlrecht verhindert werden. So war die Einsetzung von Adjutorbischöfen mit  Nachfolgerecht in den Kommissariaten Magdeburg und Schwerin vorgesehen Gleichzeitig begann Kardinal Bengsch damit, über den Vatikan - und auch über staatliche Stellen! - die stufenweise Ablösung der bisherigen Amtsträger ohne deren Wissen einzuleiten.

Amtsübergabe in Schwerin 1970 (v.l.n.r: Weihbischof Dr. Schräder, Kardinal Bengsch, Bischof Theissing)
Bild Amtsübergabe in Schwerin 1970
Nach dem letzten Gottesdienst in Schwerin 1970
Bild Nach dem letzten Gottesdienst in  Schwerin 1970

So erfuhr der gesundheitlich angeschlagene Weihbischof Dr. Bernhard Schräder erst im Dezember 1969 von den Aktivitäten, mit denen über ein Jahr zuvor schon sein Rücktritt vorbereitet wurde. Trotzdem fügte er sich im März 1970 ohne öffentliche Klage. Ein Jahr zuvor hatte er noch – zusammen mit dem Rostocker Pfarrer Nikolaus Schnitzler, für den Erhalt der  Rostocker Christuskirche gekämpft. 1970 war auch dieser Kampf verloren. Die SED ließ sich nicht davon abbringen, die größte katholische Kirche in Mecklenburg aus  ideologischen Gründen zu sprengen, was den Weihbischof als Hirte seiner Kirche besonders traf.

Im Februar 1970 wurde der Berliner Weihbischof Heinrich Theissing zum Koadjutorbischof in Schwerin mit dem Recht der Nachfolge ernannt. Der Osnabrücker Bischof Wittler schrieb am 24. April1970 an Schräder: „Daß diese Lösung erfolgen konnte, ist nicht zuletzt Deiner kirchlichen und persönlichen Einstellung zu verdanken. Daß ich das zu würdigen weiß, sollst Du wissen.“ Am 15. Juni 1970 reichte Schräder aus gesundheitlichen Gründen  beim Apostolischen Nuntius Bafile seinen Rücktritt vom Amt des Bischöflichen Kommissars in Mecklenburg ein. Bereits neun Tage später fand in Schwerin die offizielle Verabschiedung Schräders statt, der die Stadt im August 1970 in Richtung Osnabrück verließ. Hier starb er am 10. Dezember 1971 und wurde im Dom zu Osnabrück beigesetzt.