Datenschutzerklärung  I  Impressum  I  Inhalt  I  Suche
Heinrich-Theissing-Institut Schwerin  >  Publikationen  >  Bücher  >  Leben mit der Bibel in vier Jahrhunderten

Seit Jahrtausenden gehört die Bibel zum Leben der Menschen. Für viele war und ist sie das Wort Gottes. Heute wissen wir, dass dieses geglaubte göttliche Wort in langen Zeiträumen und von vielen inspirierten menschlichen Autoren verfasst ist. Bevor es aufgeschrieben wurde, erzählte man es möglichst wortgetreu weiter. Was wir heute lesen, hat viele Stufen menschlicher Weitergabe durchlaufen: Erzählen und Weitererzählen, Auswendiglernen und Erinnern, Deuten und Kritisieren, Redigieren und Übersetzen.
Heute gibt es die Bibel in Millionen von Exemplaren. Inzwischen ist sie in fast 2400 Sprachen und Dialekte übersetzt, so dass mehr als 95 Prozent der Weltbevölkerung sie in ihrer Muttersprache lesen können/1/. Das war nicht immer so. Noch vor 250 Jahren galt in der kathohschen Kirche ein Verbot für volkssprachige Ausgaben der Bibel./2/

Dieses Übersetzungsverbot hat eine lange Geschichte: Sie reicht zurück bis in das 12. Jahrhundert und spiegelt die Auseinandersetzungen der Kirche mit nüttelalterlichen Hiresien wider. Zu keiner Zeit aber wurden derartige Verbote umfassend durchgesetzt. Allein in Deutschland wurden zwischen der Erfindung des Buchdrucks und Luthers genialer Bibelübersetzung achtzehn deutschsprachige Bibeldrucke in nahezu ioooo Exemplaren herausgegeben. /3,4/

Mit Beginn der konfessionellen Epoche spitzte sich der Streit um die rechte Übersetzung der Heiligen Schrift erneut zu: Wie sollte sie sein? Wort für Wort oder dem Sinn gemäß? Dazwischen lief zeitweise ein tiefer Graben, der auch das katholische und protestantische Lager voneinander trennte.
Später, mit deraufklärung und demaufbruch von Naturwissenschaften und Technik, wurde vieles, was bis dahin als gesichert und unverrückbar galt, infrage gestellt. Liberalismus und historisch-kritische Bibelexegese erschütterten die Festungjahrhunderte alter Glaubensvorstellungen. Auf der anderen Seite entwickelte sich eine tiefgehende, am Bibelwort orientierte Spirituahtät, die alle Zeiten zu überdauern scheint.

Die hier dokumentierte Ausstellung Leben mit der Bibel in vier Jahrhunderten will darauf hinweisen, wie sich die Rezeption und der Umgang mit der Bibel seit Beginn der Neuzeit entwickelt hat. Grundlage ist der Bestand der Historischen Bibliothek St.Anna. Es handelt sich dabei um eine Sanniilung, welche von Jesuiten im 18. Jahrhundert in Schwerin aufgebaut worden ist. Nach Aufl-lebung des Ordens ging die Bibliothek in den Besitz der katholischen Missionspfarrei St.Anna über. Eine Zeit lang wurde der Bestand noch erweitert, dann geriet er allmählich invergessenheit und wurde in seiner kompletten Gestalt erst gegen Ende des 2o.Jahrhunderts wieder aufgefunden.

Die erhaltene Geschlossenheit macht den außergewöhnlichen Wert dieser Sanunlung aus. Wertvolle Einzelbände sind auch in anderen historischen Bibliotheken zu finden. Aber nur ganz selten ist der Denkmalcharakter einer Sanurilung in seiner Gesamtheit so eindrucksvoll nachweisbar und sinnlich zu erfassen wie in diesem Fall.

Auch für diese Ausstellung gilt, dass wohl fast alle Bände aus dem 16. bis 18. Jahrhundert zur ursprünglichen Schulund Gelehrtenbibliothek derjesuiten in Schwerin gehörten. Sie geben Hinweis darauf, wie viel an Wissen und Bildung diese Ordensleute den ihnen anvertrauten Schülern verniittelten und mit welcher Weltoffenheit sie die mecklenburgische Provinz bereicherten.

Der Betrachter der Ausstellung und der Leser des vorliegenden Kataloges sind eingeladen, einen Einblick zu gewinnen, wie stark christliche Wurzeln nachweislich das heutige Europa prägen.
_________________________________________________________________________________
/1/United Bible Societies, Scripture Language Report 2004 (zitiert nach: Deutsche Bibelgesellschaft, Website, Nachrichten 28.2.2oos)
/2/Uwe Köster, Studien ZU den katholischen deutschen Bibelübersetzungen im 16-, 17. und 18.Jahrhundert, Reformationsgeschichtliche Studien undtexte, Bd. 134, Münster 1995, S. 232 f
/3/Paul HeinzVogel, Die deutschen Bibeldrucke, in:joha,nnes Schildenberger, Leopold Leitner u. a., Die Bibel in DeutscMand, Stuttgart 1965, S. 251 - 256.
/4/Arnin Doumit, Deutscher Bibeldruck von 1466-1522 St. Katharinen 1997.
_________________________________________________________________________________
Bei allem, was uns mit dem von Menschen erzählten, geschriebenen und übersetzten Gotteswort verbindet, sollten zwei Aspekte nicht aus dem Auge verloren werden, die der Kirche immer wichtig waren und die Papst Johannes Paul Ii. bei seiner Ansprache vor der Päpstlichen Bibelkomniission am 23. April 1993 wie folgt beschreibt:
»Die Bibel übt ihren Einfluss im Lauf der Jahrhunderte aus. Ein ständiger Prozess der Aktualisierung passt die Interpretation an die zeitgenössische Mentalität und Sprache an. Der konkrete und unmittelbare Charakter der biblischen Sprache erleichtert dabei diese Anpassung in hohem Maße, aber ihreverwurzlung in einer alten Kultur ruft mehr als eine Schwierigkeit hervor. Man muss darum das biblische Denken ohne Unterlass in die zeitgenössische Sprache übersetzen, damit es in einer den Hörern angepassten Sprache ausgedrückt ist.

Diese Übersetzung muss indessen dem Original treu bleiben und darf die Texte nicht pressen, um sie einemverständnis oder einer Auffassung anzupassen, die in einer gegebenen Stunde gerade behebt sind. Es gilt, den vollen Glanz des Wortes Gottes aufzuzeigen, selbst wenn es sich in menschlichen Worten ausdrückt.« /5/

Die Ausstellung Leben mit der Bibel in vier Jahrhunderten< will den Spannungsbogen aufzeigen, der über lange Zeit die Menschen im Umgang mit der Bibel zwischen diesen beiden Polen bewegt hat. Sie verfolgt darüber hinaus die Absicht, europäische Kulturgeschichte - auch im Blick auf regionale Entwicklungen - für den interessierten Betrachter erlebbar und nachvollziehbar zu machen.

Den Texten des Kataloges sind darum zwei einftihrende Beiträge vorangestellt, die bei der Eröffnung der Ausstellung am 25. November 2004 gehalten worden sind. Dabei führt dervortrag von Ursula Bleyenberg, von der auch die Texte des Kataloges stammen, den Leser aus katholischem Selbstverständnis in das Thema der Ausstellung ein, während Oberkirchenrat Andreas Flade das Bibelverstindnis aus evangelischer Sicht darstellt.
In Zusammenhang mit frühen Bibeldrucken darf das Thema Bibelgestaltung nicht unbeachtet bleiben. Schließlich sind die starkeverbreitung kathohscher und reformatorischer Bibelübersetzungen und die streitbaren Auseinandersetzungen darüber erst möglich geworden durch Johannes Gutenbergs Erfindung der beweglichen Letter und die dadurch entstandenenvervielfältigungstechniken. In diesem Katalog wird in beschreibenden Texten wie in marginalen Annotationen darauf Bezug genommen. Bei Maßangaben findet das Didotsche System Anwendung, das allerdings erst im Klassizismus entwickelt worden ist. Bei den Angaben zu typografischen Größen handelt es sich deshalb jeweils nur um Näherungswerte, die jedoch Vergleiche zu Bleisatzschriften und -größen ab dem i8.Jahrhundert zulassen.
Vorliegender Ausstellungskatalog wird ergänzt durch den Tagungsband eines Symposions zur Kirchengeschichte, das unter dem Thema >Europäische Bildung und Spiritualität in der Diaspora( anlässlich einer früheren Ausstellungseröffnung zu diesemthema imjahr 2003 in Schwerin gehalten worden ist. Neben Kostenzwängen, die eine solcheverfahrensweise nahe gelegt haben, ist damit auch die Hoffnung verbunden, den Lesern weiterführende Einblicke in bisher wenig bekannte historische Entwicklungen und Hintergründe /6/ zu ermöglichen.
_________________________________________________________________________________
/5/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Die Interpretation der Bibel in der Kirche, Bonn, 4.Aufl. 2004, S. 18.
/6/Georg Diederich, Die Jesuiten und ihre Bibliothek in Schwerin, in: HeinrichTheissing-Institut (Hrsg.), Europäische Bildung in der Residenzstadt Schwerin, Schwerin 2003, S. 3 - 9.
_________________________________________________________________________________
Georg Diederich
Schwerin, im März 2005